Ausgabe 2 / 05 Archiv Impressum Heim von RX5
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Über den Wolken, durch die Wolken, unter den Wolken

Kaputte Fernbedienung in Gesundbrunnen

Die Straße und ich

Fahren im Wörterbuch

Seite mit Kunst

"...oder lass mich mit ihnen zieh'n!"* - Migranten ante portas

Unterwegs auf Neufundland

Mit dem Einkaufswagen unterwegs

Einen fahren lassen



Kaputte Fernbedienung in Gesundbrunnen
von Manfred Lehmann

Ich sitze in der S-Bahn und schaue aus dem Fenster. Bäume fliegen vorbei. Häuser. Wenn ich mein Gesicht in den Fahrgastraum wende sehe ich versteinerte Gesichter. Also doch lieber aus dem Fenster schauen. Mein Blick fällt auf vorbeirasende Gegenzüge, wo man nichts erkennen kann, weil alles so schnell vorbeifliegt. Jetzt fährt der Zug durch einen Tunnel und ich sehe nichts. Zu hören ist stattdessen die elektronische Stimme, die den Bahnhof Gesundbrunnen ansagt. Einige Fahrgäste reden, von anderen hört man nur zischelnde Geräusche aus ihren Kopfhörern. Schön ist es, Gesprächsfetzen aufzufangen, die um einen herum erschallen. Von der rechten Seite her ertönt "Salat und Essig" auf der anderen Seite beschwert sich eine alte Frau bei einer anderen über ihre kaputte Fernbedienung:

"Ick krieg nur no een Programm rinn. ZDF."
Die andere: " Da musste die Batterie wechseln".
"Habick schon."
"hm"
Eine Minute schweigen. Darauf wieder die erste:
"Na eene koofen is ja schön. Aber wer stellt mir dit allet wieder ein ? Dit muss ja allett
dementspreschend wieda einjestellt werden…….Vielleischt habick ja ooch allett
verstellt mit meen Rumjedrücke." Darauf die andere. "Hmmmm"

Wir sind jetzt in Gesundbrunnen. Wenn der Zug etwas länger als gewohnt steht, werden alle nervös. Dann endlich die erlösende Ansage des Schaffners, der in seiner Ansage "Zurückbleiiiben" die Silben extra etwas hinauszögert, wohl um die Leute zu ärgern. Lustig ist es, wenn sich die Schaffner auf den Umsteigebahnhöfen bei der Ansage der Zugrichtung versprechen. Viele Leute rennen hektisch aus dem Zug und schauen verzweifelt auf die Anzeigetafel. Wenig später entschuldigt sich der Schaffner und alles rennt wieder mit großem Augenrollen in den Zug.

Oft kommen Kontrolleure. In Zivil. Und dennoch scheint es Absprachen in der Kleiderordnung zu geben. Lederjacke und etwas betagte Turnschuhe. Sie kommen zu dritt. Wenn der Zug abfährt, rennen sie durch den Wagen, so wie Terroristen, die ein Flugzeug entführen.
Die beiden Omas mit der Fernbedienung haben nun ein anderes Gesprächsthema gefunden, sie reden über ihre Mützen.
"Die is zu flach." "Die andere is aba zu hoch" "Dit bläßt sisch uff wie Luft. Wenn ick den Mantel hier anziehe, setzick die uff."

Ich schaue wieder aus dem Fenster. Wenn man Musik dabei hört, ist das Vorbeifliegen der Häuser und Bäume und Menschen der beste Videoclip.
Die Leute, die die ganzen tollen ipods haben, und dann nur vor sich hinstarren, sind wirklich zu bedauern.
Abends ist es besonders spannend aus dem Fenster zu schauen, wenn dann in den vorbeifliegenden Häusern überall Licht brennt und man in die Wohnungen schauen kann.

In der S-Bahn erkennt man die Tageszeit oft am Geruch. Frühmorgens eine Mischung aus Billig-Duschbädern, Schweiß und Kaffee aus Pappbechern. Ganz ganz früh gesellt sich noch der Duft von abgestandenem Schulli dazu. Vormittags ist die Bahn eher geruchsneutral. Am frühen Abend ein leichter Schweißgeruch und später am Abend leider im Häufiger der Geruch von Erbrochenem.

Was übrigens beim Fliegen sehr schön ist, ist das Gefühl, wenn es einen beim Durchstarten gegen den Sitz presst. Nur da kann man nicht so schön in die Fenster der vorbeifliegenden Häuser schauen.

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