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Man muss Geduld miteinander haben







Man muss Geduld miteinander haben
von Holger Lange

Berufliche Selbstständigkeit gilt als ein gut gewählter Schritt aus der Erwerbslosigkeit. Schenkt man der Ratgeberliteratur Glauben, ist nichts einfacher, als das eigene Geschäft zu gründen. Man muss schließlich nur wissen, was Kunden wünschen. Der motivationspsychologische Ansatz nach Abraham Maslow (1) steht bei Marketingseminaristen hoch im Kurs. Mit der gern so genannten Maslowschen Bedürfnispyramide soll es dem zukünftigen Kleinunternehmer relativ einfach fallen, Kundenwünsche nachzuvollziehen, um diese angemessen befriedigen zu können - und sich somit erfolgreich auf dem Markt zu behaupten (2).

Nach Maslow lassen sich unsere Bedürfnisse in fünf große Gruppen zusammenfassen, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Diese Gruppen bezeichnen physiologische Bedürfnisse (Stufe 1), Sicherheitsbedürfnisse (Stufe 2), soziale Bedürfnisse (Stufe 3), Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung und Wertschätzung (Stufe 4) sowie das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (Stufe 5). Die Bedürfnisse sind nicht gleichwertig, vielmehr werden Bedürfnisse der nächsten Stufe erst relevant, wenn die Bedürfnisse der vorherigen hinreichend befriedigt sind. Danach müssen zunächst die physiologischen Bedürfnisse (z. B. nach Nahrung) gestillt sein, bevor Sicherheitsbedürfnisse Bedeutung für den Menschen erlangen. Und erst wenn sich der Mensch sicher genug fühlt, kümmert er sich um die Befriedigung seiner sozialen Bedürfnisse. Und so weiter.

Mir ist nicht klar, weshalb soziale Bedürfnisse in dieser Hierarchie erst auf der dritten Stufe bedeutsam werden. Jeder Säugling zeigt soziale Bedürfnisse an, indem er schreit. Dass schon das neugeborene Kind physiologische Bedürfnisse hat, ist unbestritten. Wichtig ist mir allein, dass es soziale Bedürfnisse anzeigt, nicht obwohl, sondern gerade weil seine physiologischen Bedürfnisse nicht befriedigt sind. Nach Maslows Bedürfnispyramide müsste das Baby jedoch zunächst satt sein, bevor es nach der Mutter schreit, es zu stillen. Auch der Handel, den Käufer und Verkäufer anstreben, zeigt ein soziales Bedürfnis an, weil der Handel selbst ein sozialer Akt ist. Paradox: Wenn sich der Handel (Stufe 3) auf Güter zur Befriedigung von physiologischen Bedürfnissen und Sicherheitsbedürfnissen (Stufen 1 und 2) bezieht, wird er nach diesem Modell gar nicht angestrebt. Denn entweder sind die Bedürfnisse niedrigerer Stufe noch unbefriedigt, dann werden soziale Bedürfnisse nicht bedeutsam. Oder sie sind ausreichend befriedigt, dann ist ein Handel zu ihrer Befriedigung nicht notwendig.

Nachdem ich die Gültigkeit der Theorie anhand des Verhältnisses der drei unteren Stufen in Frage gestellt habe, möchte ich nur noch kurz auf die verbliebenen zwei oberen Stufen eingehen. Während der Begriff der sozialen Anerkennung (Stufe 4) noch einige Chancen hat, empirisch geklärt zu werden, zum Beispiel durch ein Studium entsprechender gesellschaftlicher Rituale, bleibt der Begriff der Selbstverwirklichung (Stufe 5) diffus. Wann ist das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung befriedigt, d. h. aus der Perspektive des Unternehmers: Welcher Art ist die Ware, die die Befriedigung dieses Bedürfnisses am glaubwürdigsten verspricht? Offenbar hilft die Maslowsche Bedürfnispyramide hierbei nicht entscheidend weiter. Die besagte Klärung könnte individuell durch einen Dialog zwischen Käufer und Verkäufer erfolgen. Wahrscheinlich wird dabei - möglicherweise als Zwischenergebnis - herauskommen, dass der erstere sich durch die Fragerei des letzteren eher belästigt fühlt als sich seinem Ziel der Selbstverwirklichung näher gebracht.


Anmerkungen:

(1) A. H. Maslow (1943): A Theory of Human Motivation.
Quelle: http://psychclassics.yorku.ca/

(2) Svenja Hofert, Erfolgreich als freier Journalist (Konstanz 2003); Werner Pepels: Praxiswissen Marketing (München 1996). Vgl. Darrin Coe, Maslow's Marketing Filter: "Supposedly this is presented to help the marketing student understand consumer motivation and thinking. The problem is I've never seen it applied, in the text books. It's presented as the foundation of human motivation and then it's dropped."
Quelle: http://www.successfuloffice.com/



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