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In der einen Kunstecke

Der Ort des namenlosen Grauens

Dort wo es dunkel ist

In der anderen Kunstecke

Det gloob ick nich - Berlin: Ecken, Kanten, Widersprüche





Det gloob ick nich
Berlin: Ecken, Kanten, Widersprüche
von Hendrik Schwalb


Berlin ... eine denkwürdige Stadt. Voller Legenden, Geschichte und Geschichten. Angeblich mindestens seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Treffpunkt aller Ausgeflippten, Kreativen und Aussteiger aller Art. Unüberschaubar, und doch klar nach Kiezen gegliedert. Von einem unübertroffenen laissez faire, und dann doch wieder stocksteif und spießig. Die beiden Stadthälften West- und Ost-Berlin existieren, mindestens mental voneinander entfremdet, nebeneinander her.
Berlin, das könnte man auch als eine ewig fortschreitende Geschichte des Aufbaus und der danach folgenden Zerstörung sehen. Irgendjemand hat einmal geschrieben, Berlin sei dazu verurteilt, ewig zu werden und nie zu sein. Noch jede Epoche in der Berliner Stadtgeschichte wurde von der nachfolgenden abgelehnt, bekämpft, zumindest umgestaltet oder komplett überbaut. Als ob ein dauernder Zwang herrschen würde, alles immer anders zu machen. Besser, schöner, größer. An der Architektur der Stadt kann man es erkennen. Immer wieder haben sich die Epochen im Stadtbild niedergeschlagen, am deutlichsten die großen Gebiete mit Gebäuden der Gründerzeit und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Mietskasernen, Industriegebäude, Bahnanlagen.


Bau auf, bau auf ... am Bahnknotenpunkt Südkreuz

Welch anderes Bild bietet sich aber, wenn man die riesigen Neubaugebiete des Ostens der Stadt sieht! Wie ein maßloser Kontrapunkt zu den engen Wohngebieten der Innenstadt. Riesige Flächen zwischen den Häusern.
Diese Betonblöcke und Betonriegel: hoch, massiv und monoton. Scheinbar endlos bis zum Horizont. Als hätten die Planer in der "Hauptstadt der Republik" beschlossen, dem verhassten Wilhelminisch-preußisch-bürgerlichen Bauen etwas monumental Eigenes entgegen zu setzen.
Dabei stellten sie vor allem die Art ihres Denkens unübersehbar zur Schau : quadratisch, praktisch, gut.
Alles zum Wohle der werktätigen Massen. Beton als Ausdruck der Befindlichkeit: hält ewig, ist nahezu unerschöpflich, hilft bei allem und für alles.
Häuser, Straßen, Grenzbefestigungen.


Wohnungsbauserie 70 / WBS 70 11geschossig

Im Westen schlug man derweil Schneisen für die Stadtautobahn ins Stadtbild, versuchte die Komplettsanierung ganzer Straßenzüge durch Totalzerstörung, um sie danach als unbewohnbare Betonwüsten wiedererstehen zu lassen wie am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Man baute ganze Stadtteile wie Gropiusstadt und das Märkische Viertel, die dem Betonwahn im Osten in nichts nachstanden, und ließ sogar ein UFO, das ICC genannt wurde, an der Messe landen. Dort steht es bis zum heutigen Tage.

Berliner Wahrzeichen
Siebziger-Jahre-Raumschiff-Traum direkt neben Messegelände und Stadtautobahn: Das Internationale Congress Centrum (ICC)

Aufbruch, neue Visionen. Vor allem nach der Wende 1989. Enormer Bau von Büroflächen und Shopping-Centern, riesige "städtebauliche Entwicklungsgebiete" mit neuen Häusern und Wohnungen in unabsehbarer Zahl und Luxus- Sanierung an jeder Ecke.
Berliner Größenwahn zwischen Olympiabewerbung, Bundeshauptstadt- Euphorie und maßlosem Nachwende- Optimismus. Das "immer-besser-immer-größer-immer-schöner-Syndrom" wird wohl immer zur Stadt gehören.
Hinterher sind dann immer alle beleidigt, weil es nicht geklappt hat.
Nun ja.

Irgendwann war das Geld alle. Teils in unseriöse Fonds gesteckt, teils kriminellen Machenschaften zum Opfer gefallen, teils einfach in unsinnigen Projekten versenkt. Die Stadt zahlt jetzt die Zeche des Wahns. Vor allem natürlich die, die sowieso nicht so wahnsinnig viel haben. Regelmäßig dürfen sie sich für ihre Armut vom Senat beschimpfen lassen.

Die Metropole, die ewig unvollendete, und jetzt auch noch pleite. Nach dem aktuellen Spruch des Bundesverfassungsgerichts gibt es kein zusätzliches Geld des Bundes zur Schuldentilgung oder sonst irgend etwas. Der Senat versucht trotzdem so weiterzumachen, als sei gar nichts passiert. Außer zu sparen, "daß es quietscht" (O-Ton des Regierenden Bürgermeisters Wowereit).
Mit allen unangenehmen Folgen.

Daneben gab und gibt es auch ein anderes Berlin: das der Kieze und Nachbarschaften. So etwas wie der Versuch, eine Art von dörflicher Atmosphäre und Vertrautheit zu erzeugen in der Unüberschaubarkeit der großen Stadt. Gerade die "Eingeborenen", d.h. die geborenen Berliner haben hier ihren Lebensmittelpunkt, ihre Wohlfühlecke, die sie nur äußerst ungern verlassen. Je nach Kiez mehr oder weniger durchsetzt mit Freaks, Trinkern, Bürgern, Punks, Spießern, Studenten, Lebenskünstlern und so weiter. Kein Kiez wie der andere. Im Stadtmagazin "Zitty" stand einmal geschrieben, das solch massive Gegensätze zwischen den Wohngebieten wie in Berlin, andernorts schon längst einen Bürgerkrieg ausgelöst hätten. Etwas übertrieben diese Einschätzung, aber die Unterschiede, gerade bei den Lebensbedingungen, sind tatsächlich enorm.

Heimliches Stadtwappen
Heimliches Stadtwappen von Berlin: Der Bär am Bierfass
Quelle:http://www.eichfeld.de/bier16b.htm


Vielleicht auch ein Grund für die dauernde Gereiztheit und Mauligkeit, die überall in der Stadt anzutreffen ist. Die Gewaltbereitschaft und auch Gewalttätigkeit ist sowohl in großen Teilen der Bevölkerung, als auch bei staatlichen und privaten Ordnungskräften stark verbreitet und quasi akzeptiertes Mittel der normalen Kommunikation. Ein unerklärter Bürgerkrieg mit anderen Mitteln. Außenbezirke gegen Innenstadt, Bürger gegen Punks, Ruhebedürftige gegen lautes Party- Volk, Radler gegen Autofahrer, jeder gegen jeden.

Wie geht's weiter, Berlin ? Wird doch noch irgendwie alles gut, wie der Regierende Bürgermeister Wowereit immer wieder glauben machen will ? Ein echter Berliner wird auf diese Aussicht hin höchstwahrscheinlich vor sich hinmurmeln: " Det gloob ick nich ..."

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