Ausgabe 5 / 07 Archiv Impressum Heim von RX5
xtra5online
Das Online - Magazin von RX5


In der vorderen Kunstecke

Normalerweise (son et lumière)

Normale Härte

An-/Abwesenheit

Hier entsteht demächst ein Beitrag

Normale Entwicklung

In der hinteren Kunstecke



Normale Entwicklung
oder:
Brombeerhecken für immer

von Hendrik Schwalb

Man soll nicht nostalgisch sein. Und schon gar nicht nostalgisch schreiben. Das verklärt das Vergangene in unangemessener Weise ebenso, wie es die Gegenwart in unangemessener Weise herabwürdigt.

Trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei, nostalgisch in meine Kindheit zurück zu blicken. Vor meinem geistigen Auge öffnet sich dann ein Zustand vollkommener Unbekümmertheit und unschuldiger Naivität. Und vorurteilsloser Rudelbildung.
Jeder konnte mit jedem. Wahrscheinlich war man einfach komplett dämlich und tierisch leichtsinnig. Ich erinnere mich an Klettertouren in Apfelbäumen, Höhlenbau in sandigen Wiesen (wobei die Höhlen gerne mal einstürzten), Brombeeren in Mengen futtern, rumplanschen in Riesenpfützen und so weiter und weiter ....
Uns konnte niemand, auch wenn die Erwachsenen immer drohend vom "Ernst des Lebens" sprachen, der unweigerlich noch kommen werde. So richtig ernst nahmen wir diese Sprüche nicht, da die Alten auch sonst viel wirres Zeug verzapften, vor allem wenn sie schon einen im Tee hatten, was durchaus mal vorkam.
Wie schon gesagt, alles war erstaunlich einfach, und fast alles machte irre Spass.

Dann aber begannen sich die Dinge zu verändern, langsam, schleichend. Zuerst, glaube ich, war es die Schule, die uns mit ihren ewigen Zensuren, Prüfungen, Arbeiten usw. auf die Nerven ging. Und langweilig war es. Teilweise unerträglich öde. Ich erinnere mich, das ich manchmal tagelang zu Tode gelangweilt aus dem Fenstern der Schule starrte. Da draußen war das Leben, zumindest war es interessanter als das, was uns die Lehrer den ganzen Tag erzählten.
Dummerweise musste man gelegentlich Arbeiten schreiben und so etwas, also beweisen, dass man vom "Lernstoff" etwas verstanden hatte. Komplettabschalten war nicht so gut. Spass machte es aber nicht. Eigentlich im Lauf der Jahre immer weniger.
Auch die Vergnügungen wurden andere. Durch irgendwelche Apfelbäume klettern war jetzt nicht mehr so angesagt, auch der Bau von Erdhöhlen wurde immer mehr als peinliche Veranstaltung betrachtet, zumal die Dinger immer so schnell einfielen, also ständig Neubau notwendig war.

Man begann sich für das andere Geschlecht zu interessieren, was erst mal dafür sorgte, das die ziemlich großen lärmenden Horden laufend verdreckter Kinder sich in immer kleiner werdenden Gruppen um die besten "Partien" kloppten.
Am Ende waren die Pärchen so weit komplett, und wer niemanden abbekommen hatte, war ziemlich draußen.
Dann gab es auch diese Aufteilung in Popper, Ted's, Punks, "Normalos", und so weiter.

Das war zwar immer noch nicht der groß angekündigte Ernst des Lebens, aber die Schule machte immer mehr Ernst. Mehr Prüfungen, noch längere Zeiten in der Schule.
Am Ende hatte man, wenn man sich das Maximalprogramm gab, einen Wisch namens "Abitur" in der Tasche, der mit enormen Saufgelagen gefeiert wurde, um den verfluchten Lebensabschnitt ins Komatöse zu verdrängen.

Was da noch nicht klar war: Das war erst der Auftakt für noch viel härtere Prüfungen, als die Schule sie jemals hatte bieten können. Manche gingen gleich "in den Beruf" (und sind jetzt vermutlich ganz schön runter mit der Bereifung), andere versuchten ihr Glück erst mal im Studium. Hier mit sehr unterschiedlichem Erfolg; einige, so hört man haben so etwas wie "Karriere gemacht" (was immer das sein mag), der Rest wurschtelt sich "so irgendwie durch".

Tja, da ist er nun, der "Ernst des Lebens": einige malochen, einige machen Karriere, einige krepeln irgendwie durch den Tag .... es hat sich alles wunderhübsch "ausdifferenziert". Auch eine Sache, die uns alle prophezeit hatten: "Du wirst das und das, und du das und du wirst gar nichts."

Ein Zurück gibt es nicht mehr. Alle sind da, wo sie sind und alle machen mit. Irgendwie. Früher habe ich mich, milde gesprochen, immer über die Omis und Opis gewundert, die mit leuchtenden Augen von "Ihrer wunderbaren Jugend" schwärmten.
Mittlerweile kann ich es zumindest teilweise nachvollziehen, womit man schon erkennen kann, wie alt ich mich manchmal fühle.

Die Beatles haben vor langer Zeit ein Lied gemacht über den nostalgischen Blick zurück: "Strawberry Fields forever".
Erdbeerfelder für immer. Wenn ich jetzt in meine nostalgisch, melancholischen Gefühlslagen gerate, denke ich gerne an enorme Brombeerhecken. Mit riesigen, saftigen Brombeeren. Brombeerhecken für immer.


Zurück auf Anfang !