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In der vorderen Kunstecke

Ein Wind weht von Süd

Luft

...alles atmet !

Mal wieder die Luft der Heimat

In der hinteren Kunstecke



Mal wieder die Luft der Heimat
oder:
Eine Heimfahrt

von Hendrik Schwalb


1.

Auf dem Weg nach Hause. Jedenfalls nach dort, wo ich vierunzwanzig Jahre gewohnt habe.
Die gewohnte Autobahn, die gewohnte Abfahrt. Am Ortseingang das große Einkaufszentrum, das früher lange "Wertkauf" hieß, dann kurz "Wal-Mart", und heute ein anderer großer Discountladen ist. Früher konnte man sonntags auf dem Parkplatz prima Schleudern mit dem Auto üben, weil da große Fläche war mit großen Auslaufzonen. Links von der Hauptstraße das Industiegebiet, in dem früher sogar viel produziert wurde.
Heute werden da hauptsächlich Klamotten in großen Lagern verkauft.
Etwas später kommt der Sportplatz in Sicht, auf dem ich früher Leichtathletik trainiert habe. Laufen, Springen, Kugelstoßen.
Einmal wurde ich sogar "Meister des leichtathletischen Dreikampfs im Turngau Offenbach-Hanau". Heißt wirklich so, ist kein übriggebliebener Faschisten-Begriff. Nach meiner aktiven Zeit kam ein neuer Abteilungsleiter für den Nachwuchs, über den noch später bekannt wurde, daß er sich an kleinen Jungs vergriffen hatte.
Er saß auch im Gemeinderat, hohes Tier in der Lokalpolitik. Nach dem Prozeß musste er die Stadt verlassen.
Einbiegen in das Neubaugebiet mit den vielen Einfamilien-Häusern.
Mindestens zwei Autos vor jeder Tür. Anhalten vor dem Haus meiner Eltern.
Erst mal ein Bier aus dem Keller. Dann Essen gehen in Sprendlingen-City.
Merkwürdige Mischung aus kleinen gedrungenen alten Bauern-, Arbeiterhäuschen und verschiedensten Baustilen der letzten fünfzig Jahre. Neben- und aufeinander gebaut, ohne erkennbare Ordnung.

2.

Nächsten Tag Spazieren gehen. Schöne Gegend eigentlich. Verwunschene Hecken, viel Büsche, Bäume und Wiesen. Nur die Autobahn ist ein bißchen laut.
Macht aber nichts, die Sonne scheint, die Vögel singen. Pferde stehen am Wegesrand und grasen friedlich. Die Äpfel sind schon reif. Gibt dann prima Apfelwein. Getrunken wird immer. Hier sowieso.
Für die lokale Tradition ist ein Fest, die "Kerb", maßgeblich, bei dem sich junge Männer eine Art Tracht mit Hut tragen. Dann mehrere Tage betrunken in Festzelten sitzen. Sie nennnen sich "Kerbborsche". Die Tradition verlangt es auch, dass sich die aktuellen Kerbborsche mit den Kerbborsche der letzten Jahre prügeln. Dann fliegen auch schon mal die Bierbänke tief.
Hinterher vertragen sich komischerweise alle wieder und trinken weiter.
Wenn auch mit diversen Beulen und blauen Augen.

3.

Ich erinnere mich an Klettertouren in Apfelbäumen, Höhlenbau in sandigen Wiesen, Brombeeren in Mengen futtern, Pommes im Freibad, Badetouren zum Baggersee, Rumplanschen in Riesenpfützen und so weiter und weiter ...
Das blieb natürlich nicht so. Dann kam Schule, Abitur, Zivildienst und Studium.
Und dann ... raus. Nach Berlin. Wo ich mitterweile so was wie ein halber Berliner bin. Wie fast die Hälfte der Stadt, die zu Weihnachten in ihre "Heimat" verschwindet.

Vorbereitungen für die Rückfahrt. Meine Mutter will mir wieder Essen mitgeben.
Ist nett gemeint, brauch' ich aber nicht. Der Kühlschrank in Berlin ist voll.

Die alten Kumpels aus der Schule kenn' ich nicht mehr. Weiß nicht, was die heute machen. Ich wohne hier nicht mehr. Der Verkehrsfunk verspricht eine freie Autobahn. Ich bin weg.


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